Psychiatr Prax 2007; 34(6): e26-e34
DOI: 10.1055/s-2007-986493
Mitteilungen der ACKPA

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Zur Geschichte der Abteilungspsychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland

Rückblick und Standortbestimmung zum "Arbeitskreis"Manfred Bauer
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Publication Date:
24 August 2007 (online)

 

Einleitung

Am 10. und 11. November 1983 veranstaltete die "Aktion Psychisch Kranke" in Offenbach/Main eine Tagung, die ausschließlich die damalige Situation der "Psychiatrischen Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern" zum Gegenstand hatte. Die dort gehaltenen Referate und Diskussionsbeiträge sind in dem von Manfred Bauer und Maria Rave-Schwank 1984 herausgegebenen Band 10 der APK-Tagungsberichte enthalten [1].

Wie damals üblich, hatte die "Aktion" auch zu dieser Tagung eine Umfrage bei den Psychiatrischen Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern durchgeführt, die den damaligen Kenntnisstand dokumentieren sollte. Die Ergebnisse dieser Umfrage wurden von M. Bauer referiert, der zusätzlich noch auf Daten von Michaelis (Itzehoe/1982) sowie auf Umfragedaten von Häfner und v. Watzdorf aus dem Jahr 1979 zurückgreifen konnte. Darüber hinaus lagen einige Daten des Berliner Architekten Scheffler vor, die sich auf die Jahre 1970 bis 1978 bezogen. Als Ausgangsbasis für jegliche, auch in späteren Jahren erhobene Datensätze hatte jedoch die sogenannte Ist-Erhebung der Psychiatrie-Enquete-Kommission aus dem Jahr 1973 zu gelten, die für das Jahr 1970 21 psychiatrische bzw. psychiatrisch-neurologische Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern auswies.

Nimmt man all diese Quellen zusammen, so gab es 1983 in den westlichen Bundesländern 68 psychiatrische bzw. neuro-psychiatrische Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern wobei die 23 Universitätskliniken sowie die (damals) nur formal als psychiatrische Abteilungen firmierenden Krankenhäuser Bremen Ost und Hamburg Ochsenzoll keine Berücksichtigung fanden. Von der Erhebung ebenfalls ausgespart blieben (kleine) selbstständige Psychiatrische Kliniken wie z.B. Mönchengladbach/Rheydt oder Häcklingen, auch wenn diese von ihrer Größenordnung her durchaus mit psychiatrischen Abteilungen zu vergleichen waren.

Die Anzahl der Abteilungen hatte sich also von 21 im Jahr 1970 über 44 im Jahr 1973, 61 im Jahr 1979 auf einen Stand von 68 im Jahr 1983 erhöht. Dies bedeutete eine prozentuale Steigerung von über 300%. Allein in der Dekade 1973 bis 1983 waren demgemäß mehr psychiatrische Abteilungen in der Bundesrepublik (alt) neu entstanden als in der Zeit vor 1970 existierten.

Die bislang letzte derartige Erhebung wurde 1993 von Rössler, Salize und Bauer durchgeführt und 1996 in der "Psychiatrischen Praxis" publiziert [2]. Sie hatte neben der Klärung der Frage, wie viele psychiatrische Abteilungen zu diesem Zeitpunkt existierten und über wie viele Betten und Tagesklinikplätze sie verfügten auch zum Ziel, ob es ausgeprägte Unterschiede zwischen den alten und den neuen Bundesländern gab. Dies war nicht der Fall. Auf der Grundlage von 112 im damaligen Mitgliederverzeichnis des Arbeitskreises der Abteilungsleiter (ACKPA) aufgeführten Einrichtungen und einer Rücklaufquote von 93% fanden sich in den alten Bundesländern 74 und in den neuen 28 psychiatrische Abteilungen mit insgesamt 8 157 vollstationären Betten. Dies spiegelt in etwa die jeweiligen Einwohnerzahlen in Deutschland Ost und Deutschland West wider. Als Durchschnittswert ergab sich eine Zahl von 80,8 Betten sowie 17 Tagesklinikplätzen pro Abteilung. Ca. 85% der befragten Abteilungen hatten eine Versorgungsverpflichtung für ein definiertes Einzugsgebiet, woraus die Autoren schlussfolgern, dass die historische Diskussion um die sogenannte 2-Klassen-Psychiatrie inzwischen obsolet geworden war. Ein Blick in das "Positionspapier" [3] der Abteilungsleiter aus dem Jahre 2000 bestätigt diese Einschätzung. Dort ist jetzt von 160 Fachabteilungen für Psychiatrie und Psychotherapie die Rede, die zu nahezu 90% eine regionale Pflichtversorgung betreiben und "deren Anteil an der Gesamtbettenzahl auf etwa 40% gestiegen (ist), womit sie die Hälfte aller psychisch Kranken stationär versorgen". Diese Einschätzung wird durch die Stellungnahme der DGPPN [4] aus dem Jahre 2001 bekräftigt. Dort findet man die Feststellung, dass von der Abteilungspsychiatrie ca. 60% aller psychiatrischen Akutpatienten gemeindenah behandelt werden, wegen der im Durchschnitt um ca. 4 Tage längeren Verweildauer in den Fachkrankenhäusern die Anzahl der Pflegetage in beiden Einrichtungstypen jedoch gleichermaßen bei 50% liegt. Diese "Versorgungslast" ist inzwischen paritätisch verteilt und es wird Aufgabe der nächsten Psychiatergeneration sein, mit dafür Sorge zu tragen, dass die mit der Psychiatrieenquete angestoßene Entwicklung, gemeindenahe und in die allgemeine Medizin in Form von psychiatrischen Abteilungen integrierte Versorgungsangebote zu schaffen, nicht auf halbem Wege stecken bleibt.

Als sich der Arbeitskreis der Abteilungsleiter vor jetzt genau 25 Jahren am 30. Oktober 1981 in Quakenbrück gegründet hat, hat wohl kaum eines der Gründungsmitglieder daran gedacht, dass diese Gruppierung ein Vierteljahrhundert später auf eine alles in allem erfolgreiche Vergangenheit würde zurückblicken können. Ein Brief von Dr. Ody/Euskirchen aus dem Jahre 2001, den er anlässlich seines Ausscheidens aus dem Amt als Chefarzt an den Verfasser schrieb und dem er Materialien aus der Frühzeit des Arbeitskreises beilegte, mag dies verdeutlichen.

"...schicke ich Ihnen eine Reihe von Originalunterlagen aus den Anfangszeiten unserer Abteilungsleitervereinigung.... Vielleicht findet sich eines Tages jemand, der eine kurze historische Darstellung der Entwicklung unseres Arbeitskreises verfasst, der inzwischen eine Bedeutung erreicht, die wir seinerzeit wirklich nicht vorausgesehen haben."

Aber auch der weitere, bisher unbekannte Schriftwechsel aus der Gründerphase lässt erkennen, dass dieser Gruppe nicht unbedingt ein langes Leben vorhergesagt werden konnte.

Literatur

  • 01 Bauer M, Rave-Schwank M. Aktion Psychisch Kranke (Hrsg). Psychiatrische Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern. Tagungsberichte Band 10. Köln: Rheinland Verlag, 1984. 
  • 02 Rössler W, Salize HJ, Bauer M. Psychiatrische Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern - Stand der Entwicklung in Deutschland. Psychiat Prax 1996; 23: 4-9. 
  • 03 Auerbach P, Bauer M et al. Perspektiven der Krankenhauspsychiatrie Positionspapier. Beilage zur Psychiat Prax 2/2000. 
  • 04 Fritze J, Saß H, Schmauß M. Befragung der Fachgesellschaften durch den Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen zur Frage der Über-, Unter- und Fehlversorgung: Stellungnahme der DGPPN vom 18.1.2001. 
  • 05 Cranach M v. Vom Streit um Spezialisierung und Regionalisierung - Kreative Wege aus der Blockierung. Aktion Psychisch Kranke (Hrsg). In: 25 Jahre Psychiatrie-Reform, Band 27/2, Bonn 2001. 
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