Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(36): 1029
DOI: 10.1055/s-2000-7205
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

DMW Themen-Schwerpunktheft Gastroenterologie

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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Das vorliegende Heft weist auf einige Aspekte hin:

die enge Beziehung zwischen Gastroenterologie einerseits sowie Abdominalchirurgie und Pathologie andererseits, die zunehmende Bedeutung der Onkologie und der Infektionserkrankungen in der Gastroenterologie, die Rolle des Gastroenterologen bei der Indikationsstellung zu weiteren therapeutischen Maßnahmen.

Die Pro & Contra-Diskussion um die richtige Behandlung von Gallenblasensteinen zeigt ein Grundprinzip in der Medizin auf, das auch durch den Fortschritt in Erkenntnis und Technologie schwer zu verrücken ist: Bei einem Organ, welches dem Individuum keinen funktionellen Vorteil bringt, im Gegenteil, Ursache für Schmerzen oder Komplikationen sein kann - wie bei der symptomatischen Cholezystolithiasis -, bietet sich die chirurgische Entfernung geradezu an: Vorausgesetzt, die Cholezystektomie ist sicher und es entstehen durch sie keine funktionellen Nachteile oder gar späteren Komplikationen. Nun gibt es selbst beim elektiven Eingriff eine wenn auch sehr kleine Letalitätsrate und ein Risiko der Gallengangsverletzung von knapp 0,5%. Dies ist aus internistischer Sicht der entscheidende Grund, einigen ausgewählten symptomatischen Patienten die konservative Therapie anzubieten. Bei der Behandlung mit Ursodesoxycholsäure - ggf. in Kombination mit einer extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie [5] - ist die Beeinflussung der Zusammensetzung der Galle als ein pathogenetischer Faktor für die Cholesterinsteinbildung der wesentliche Behandlungsansatz. Der Chirurg entfernt dagegen das steintragende Organ. Im Gegensatz zur konservativen Gallensteinbehandlung führten hier nicht so sehr Erkenntnisse aus der klinischen Grundlagenforschung zur Verbesserung des therapeutischen Prinzips, sondern der technologische Fortschritt und die Anästhesie. Allerdings sollten wir uns hüten, bei aller Befriedigung über Eleganz und Sicherheit der laparoskopischen Cholezystektomie, die Indikation zur Therapie zu leichtfertig zu stellen. Eine britische Analyse [4] zeigte, dass bei nachträglicher Betrachtung - auch durch die Chirurgen - knapp die Hälfte aller operierten Patienten wahrscheinlich keiner Cholezystektomie bedurft hätten. Nach einer ausgedehnten italienischen Studie war während einer Beobachtungszeit von 8 Jahren gar nur bei 5% aller Gallenblasensteinträger eine Cholezystektomie wirklich gerechtfertigt (D. Festi, MICOL-Studie, persönliche Mitteilung). Hier liegt das Problem. Patient, Internist bzw. Gastroenterologe und Chirurg müssen sich einigen. Asymptomatische Gallenblasensteine brauchen wir nicht zu behandeln [5]. Mit gleichem Recht kann der Chirurg den Internisten und Gastroenterologen fordern. Sind neue endoskopische Techniken wirklich sinnvoll und indiziert, wenn eindeutige Operationsindikationen und gute chirurgische Langzeitergebnisse mit einer niedrigen Komplikationsrate vorliegen? Hier sind von den Endoskopikern gute klinische Studien zu verlangen. Das gilt beispielsweise für die neuerdings propagierte Schlingenentfernung eines Papillenadenoms. Langzeitbeobachtungen, wie in diesem Heft vorgestellt, beschreiben den Wert der transduodenalen Resektion, an der sich ein endoskopisches Verfahren messen muss.

Die richtige Verarbeitung und Interpretation einer Biopsie ist bei vielen Erkrankungen der Angelpunkt aller weiteren Maßnahmen. Ihre wissenschaftliche Bedeutung wird in Zukunft mit dem Einsatz der Laser-Mikrodissektion und der dadurch möglichen molekularen Analyse kleiner spezifischer Zellverbände noch steigen. Dennoch ist es keinesfalls trivial, wann, wo und wie wir biopsieren sollten. Zwei Beiträge versuchen, die Antworten für Lebertumoren bzw. die langdauernde Colitis ulcerosa zu geben. Gleichzeitig verliert die Biopsie in manchen Bereichen ihre Schlüsselfunktion: Eine chronische Hepatitis wird nicht mikroskopisch, sondern durch Blutanalysen diagnostiziert und differenziert. Ebenso ist die Leberbiopsie für die Diagnose einer erblichen Hämochromatose kaum noch notwendig [1]. Es reicht die genetische Analyse aus dem EDTA-Blut!

Die Infektionserkrankungen sind für den Gastroenterologen mit bemerkenswerten diagnostischen und therapeutischen Fortschritten zu einem dankbaren und fruchtbaren Feld geworden. Man betrachte nur die Erfolgsgeschichte nach der Entdeckung der Helicobacter pylori-Infektion der Magenschleimhaut und den damit verbundenen Paradigmenwechsel in der Ulkustherapie. Nach jahrzehntelangen medikamentösen und chirurgischen Therapieversuchen kann die Erkrankung heute durch eine einwöchige Behandlung mit einer kombinierten Antibiotikagabe und Protonenpumpenblockern bei den meisten Patienten geheilt werden [3]. Die Diskussion in diesem Heft über das - sicher äußerst geringe - Risiko einer Hepatitis C-Virus(HCV)-Infektion von Patienten durch einen Arzt, der Virusträger ist, wird sich in Zukunft erübrigen. Die Erfolge der molekularen Medizin haben vor gut 10 Jahren den Schleier von dem lange verborgenen und lange gesuchten HCV entfernt [2], und es wird aufgrund der daraus entwickelten diagnostischen Möglichkeiten weniger Infektionen geben. Auch haben wir mit der Kombination von Interferon und Ribavirin erstmals eine Therapie der chronischen HCV-Infektion in den Händen, die zu einer vertretbaren Erfolgsrate führt.

Alles fließt (»Panta rhei«). Ich hoffe und wünsche uns, dass wir diese einfache, doch bleibende Wahrheit bei der Überschüttung mit ökonomischen Problemen und administrativen Aufgaben auch als Gastroenterologen wach und gebührend begleiten können.

Literatur

  • 1 Bacon B R, Powell L W, Adams P C, Kresina T F, Hoofnagle J H. Molecular medicine and hemochromatosis: at the crossroads.  Gastroenterology. 1999;  116 193-207
  • 2 Choo Q L, Kuo G, Weiner A J, Overby L R, Bradley D W, Houghton M. Isolation of a cDNA clone derived from a blood-borne non-A, non-B viral hepatitis genome.  Science. 1989;  244 359-62
  • 3 Current European concepts in the management of H.p. infection. The Maastricht Consensus Report.  Gut. 1997;  41 8-13
  • 4 Johnson A G. Gall stones: the real issues.  BMJ. 1993;  306 1114-5
  • 5 Neubrand M, Sackmann M, Caspary W F, Feussner H, Schild H, Lauchart W, Schildberg F W, Reiser M, Classen M, Paumgartner G, Sauerbruch T. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten zur Behandlung von Gallensteinen.  Z Gastroenterol. 2000;  38 449-68

Prof. Dr. T. Sauerbruch

Medizinische Klinik und Poliklinik I

der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität

Sigmund-Freud-Straße 25

53105 Bonn

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