Gesundheitswesen 2010; 72 - P212
DOI: 10.1055/s-0030-1266719

Erreichbarkeit von Familien im Kontext von Angeboten der Frühen Hilfen: Ergebnisse einer Programmevaluation in München

M Schunk 1, B Schurig 1, U Mellinger 2, R Eder-Debye 2, C Pertl 3, M Kurz-Adam 3, A Künster 4, U Ziegenhain 4, A Mielck 5
  • 1Institut für Gesundheitsökonomie und Management im Gesundheitswesen, Helmholtz Zentrum München, Neuherberg
  • 2Referat für Gesundheit und Umwelt, Landeshauptsstadt München, München
  • 3Sozialreferat, Stadtjugendamt, Landeshauptsstadt München, München
  • 4Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Universitätsklinikum Ulm, Ulm
  • 5Institut für Gesundheitsökonomie und Management im Gesundheitswesen, Helmholtz Zentrum München, München

Familien, die unter hoher psychosozialer Belastung leben, können seit Ende 2008 durch ein strukturiertes Verfahren im Rahmen des „Münchner Modells der Frühen Hilfen“ passgenaue soziale Hilfen durch wohnortnahe freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe erhalten. Die Einschätzung der psychosozialen Belastung erfolgt im Rahmen von Hausbesuchen der Kinderkrankenschwestern des Referats für Gesundheit und Umwelt – zusätzlich zur gesundheitlichen Beratung – anhand gemeinsam vereinbarter Indikatoren. Die Vermittlung und die Inanspruchnahme der Hilfen finden auf freiwilliger Basis statt. Bei der Evaluation sollte vor allem die Erreichbarkeit der Eltern untersucht werden. Anhand der Daten der Indikations- und Vermittlungsbögen wurde in statistischen Analyseverfahren (logistische Regression mit Variablenselektion) der Einfluss verschiedener Faktoren auf die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots untersucht. In die Auswertung gingen 534 Datensätze ein. Weiterhin wurden (mittels standardisierter Befragung von Eltern und beteiligter Fachkräfte) Erfahrungen mit Entscheidungsgründen der Familien für die Annahme bzw. Ablehnung erfasst. Überlastung der Eltern (OR 5,98; KI: 3,63; 9,82) sowie soziale Isolation (OR 4,27; KI: 2,45; 7,44) erwiesen sich als die stärksten Prädiktoren für die Annahme des Angebots der Frühen Hilfen. Weitere Merkmale, die die Wahrscheinlichkeit der Annahme erhöhten, sind z.B. unerwünschte Schwangerschaft, Armut, psychische Erkrankung. Es zeigten sich auch Merkmale, die einen signifikanten Zusammenhang mit der Ablehnung der Angebots aufwiesen: eingeschränkte Interaktions- und Kommunikationsfähigkeit (OR 0,45; KI 0,22; 0,92) und alleinerziehend (OR 0,56; KI 0,32; 0,95). Der von Eltern angegebene Hauptgrund für die Ablehnung der Vermittlung ist, dass „kein Hilfebedarf besteht“, weil bereits ausreichend Hilfe von anderen empfangen wird bzw. man es „ohne Hilfe schaffen kann“. Aus Sicht der Fachkräfte hingegen spielen kulturelle Barrieren und die „Angst vor noch unbekannten Helfern“ die ausschlaggebende Rolle. Die Erreichbarkeit von Eltern kann erheblich verbessert werden, wenn Schwellenängste gezielt überwunden werden können. Dabei ist eine von Fachkräften und Eltern gemeinsam getroffene Bewertung sozialer Ressourcen der Familien von entscheidender Bedeutung.