Gesundheitswesen 2010; 72 - P35
DOI: 10.1055/s-0030-1266543

Ärztliches Leitbild aus vertragsärztlicher Perspektive

M Thanner 1, J Loss 1, E Nagel 1
  • 1Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften, Bayreuth

Hintergrund: Im Zusammenhang mit der ambulanten Versorgung konzentriert sich die aktuelle gesundheitspolitische Diskussion insbesondere auf die Vergütung der Vertragsärzte: Es wird befürchtet, dass enger werdende Budgets den Versorgungsalltag negativ beeinflussen und die Behandlung gesetzlich Versicherter durch ein verstärktes Angebot an Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) zu subventionieren sei. Wie viel Druck durch eine Entwicklung „vom Arzt zum Dienstleister“ auf Niedergelassene ausgeübt wird, zeigt sich jedoch erst, wenn auch deren Anspruchshaltung bezüglich des beruflichen Idealbildes bekannt ist. Ziel Die Untersuchung sollte klären, welche Eigenschaften das ärztliche Leitbild aus Sicht von Vertragsärzten prägen. Methodik: Zunächst wurden semistandardisierte Interviews mit 17 niedergelassenen Ärzten (v.a. Allgemeinmedizinern) geführt. Aufgrundlage dieser Ergebnisse entstand ein standardisierter Fragebogen, der einer schriftlichen Befragung von Vertragsärzten aller Fachrichtungen diente. Es wurden deutschlandweit 2396 Fragebögen verschickt. 553 Fragebögen gingen in die Auswertung ein. Ergebnisse: Über 90 Prozent der befragten Niedergelassenen waren der Ansicht, dass Ärzte keine Behandlungen durchführen sollten, von denen sie nicht absolut überzeugt sind. Auch der ausdrückliche Patientenwunsch dürfe daran nichts ändern. Die Auswertung der Fragestellung, ob sich Ärzte nur nach naturwissenschaftlich-schulmedizinisch gesicherten Erkenntnissen richten sollten, führte zu einem unentschiedenen Ergebnis: Etwa gleich viele Ärzte stimmten der Aussage zu oder lehnten sie ab. Nahezu alle Befragten (94 Prozent) waren jedoch der Überzeugung, dass Ärzte nicht nur durch ihr Fachwissen heilen und helfen sollten, sondern auch durch ihre Persönlichkeit. Etwa zwei Drittel gaben an, dass Ärzte religiösen bzw. spirituellen Anschauungen gegenüber offen sein sollten. Diskussion: Die Ergebnisse legen nahe, dass unter Vertragsärzten das Idealbild einer Heilerpersönlichkeit mit geringer Neigung zu einer rein wunscherfüllenden Medizin dominiert. Diese Auffassung dürfte einer Entwicklung „vom Arzt zum Dienstleister“ entgegenstehen. Die Festlegung auf Heilmethoden, die ausschließlich auf naturwissenschaftlich-schulmedizinischen Erkenntnissen beruhen, trifft nur auf etwa jeden Zweiten der befragten Ärzte zu. Aufgrund der durchschnittlichen Rücklaufquote von lediglich 23 Prozent ist es möglich, dass eine Verzerrung der Ergebnisse zu Gunsten eines zu altruistischen Idealbildes des Arztes vorliegt.