Gesundheitswesen 2010; 72 - P5
DOI: 10.1055/s-0030-1266513

Die Diagnose neuer, bisher unbehandelter Beschwerden bei Schuleingangsuntersuchungen – Einfluss von Bildung und Migrationshintergrund

N Rosenkötter 1, M van Dongen 2, W Hellmeier 3, P Dagnelie 2, K Simon 3
  • 1Maastricht University, Faculty of Health, Medicine and Life Sciences, Department of International Health, Maastricht
  • 2Maastricht University, Faculty of Health, Medicine and Life Sciences, Department of Epidemiology, Maastricht
  • 3Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit NRW, Fachgruppe Gesundheitsinformation, Düsseldorf

Hintergrund: Ergebnisse der KIGGS-Studie zeigen, dass Migrationshintergrund und ein niedriger Bildungsstatus Einfluss auf lückenhafte Teilnahme an U-Untersuchungen haben, unvollständige oder fehlende Impfungen jedoch eher in Familien aus höheren Bildungsschichten auftreten. Im Vergleich zu diesen präventiven Angeboten oder Früherkennungsuntersuchungen ist die Versorgung gesundheitlicher Beschwerden oder entwicklungsrelevanter Defizite bislang weniger untersucht worden. In einer Analyse der Daten aus Schuleingangsuntersuchungen (SEU) in Nordrhein-Westfalen (NRW) wurde der Einfluss verschiedener, überwiegend sozialer Variablen auf das Auftreten neuer, medizinischer oder entwicklungsrelevanter Diagnosen während der SEU überprüft. Material/Methoden: Als Datenbasis dienten Daten der SEU 2007 in NRW. Es wurden nur Kinder einbezogen, die während der SEU mindestens eine Diagnose aufgrund verminderter Sehschärfe, eingeschränktem Hörvermögen, der motorischen Entwicklung oder Visumotorik erhalten hatten. Im Rahmen dieser Querschnittsstudie wurden Odds Ratios (OR) und 95% Konfidenzintervalle in einer bivariaten Anlayse und multivariabler, logistischer Regression berechnet. Ergebnisse: Von insgesamt 53.293 Kindern wurde bei 14.066 Kindern mindestens eine Diagnose gestellt. Bei 7.718 Kindern (54,9%) handelte es sich um mindestens eine neue, bisher unentdeckte Beschwerde. Neue Diagnosen wurden am häufigsten aufgrund einer verminderten Hörfähigkeit gestellt (N=2.182, 68,7%), darauf folgen Diagnosen aufgrund gestörter Visumotorik (N=2124, 53%), verminderter Sehschärfe (N=4001, 48,6%) und motorischer Entwicklung (N=739, 31,8%). In das logistische Regressionsmodell wurden die Variablen Migrationshintergrund (Erstsprache in den Familien nicht Deutsch), Bildungsindex der Familie, Teilnahme an U-Untersuchungen, Kindergartenbesuch und Alleinerziehung einbezogen. Das Auftreten einer neuen, bisher unbehandelten Diagnose war signifikant mit Migrationshintergrund (OR=1,68; 95% CI=1,45–1,95) und niedrigem familiären Bildungsindex (OR=1,27; 95% CI=1,10–1,45) assoziiert. Diskussion: Ähnlich wie bei der Inanspruchnahme der U-Untersuchungen haben Migrationshintergrund sowie das Aufwachsen in einer bildungsfernen Familie einen Einfluss auf die gesundheitliche Versorgung der Kinder. Diese Ergebnisse zeigen die Relevanz der SEU um gesundheitliche oder Entwicklungsdefizite der Kinder vor Schulbeginn zu entdecken.