Gesundheitswesen 2010; 72 - V292
DOI: 10.1055/s-0030-1266498

Geschlechtsensitive Auswertungen der Berufskrankheiten des Muskel-Skelett-Systems in Deutschland

U Latza 1, F Liebers 2, A Seidler 3
  • 1Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Berlin
  • 2Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Berlin
  • 3Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin, Dresden

Hintergrund: Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugung (BK-Nr.2108) gehören zu den häufigsten Berufskrankheiten (BKen). Geschlechtssensitive Auswertungen von BK-Statistiken können Hinweise auf Präventions-, Versorgungs- und Forschungspotenzial geben. Methoden: Dargestellt werden Häufigkeiten für einen 10-Jahreszeitraum für den gewerblichen und öffentlichen Sektor (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), Referat BK-Statistik/ZIGUV D-53757 Sankt Augustin of 12/18/09). Die Inzidenz wird über die Zahl der sozialversichungspflichtig Beschäftigten abgeschätzt und ein 95%-Konfidenzintervall (KI) berechnet. Ergebnisse: Zwischen 1999–2008 registrierte die DGUV 76.576 Anzeigen auf Verdacht einer BK-Nr.2108 (74,1% Männer, 25,9% Frauen) und bestätigte 3.484 Fälle (47,4% Männer, 52,6% Frauen). Bei weiblichen und männlichen Beschäftigten wurden die meisten der später bestätigten Fälle von Ärzten (30,1%), gefolgt von den Versicherten (26,6%) und der Krankenversicherung (24,3%) gemeldet. Zum Zeitpunkt der Diagnose waren die meisten Männer bei einer Expositionsdauer von 25-<30 Jahre in der Altersgruppe der 60-<65-Jährigen und die Frauen nach 15-<20 Jahren Exposition in der Gruppe der 45-<50-Jährigen. Fälle aus dem Bereich des Gesundheitsdienstes und der Wohlfahrtspflege (220Männer und 1.584 Frauen) und dem Baugewerbe (471Männer and 5 Frauen) dominierten. Bei Männern waren Maurer und bei Frauen Krankenpflegerinnen besonders betroffen. In einer Pilotstudie für 1999–2001 lag die jährliche Inzidenz für Maurer bei 11,5 (95% KI 7,3–15,7) und für Krankenpflegerinnen bei 13,4 (95% KI 10,2–16,5) pro 100.000 Beschäftigen. Diskussion: Auffällig ist der im Vergleich zu anderen BKen geringe Anteil primärer Meldungen durch Ärzte. Hier kann die Versorgung optimiert werden. Betroffene Frauen waren jünger und kürzer exponiert. Die beobachteten geschlechtsspezifischen Häufigkeiten spiegeln z.T. Unterschiede in der Berufswahl wider. Aufgrund der strikten rechtlich-administrativen Rahmenbedingungen des BK-Verfahrens ist davon auszugehen, dass insbesondere die Anerkennung sehr spezifisch aber wenig sensitiv bzgl. einer möglichen berufsbedingten Verursachung ist. Die Abschätzung der Anerkennungsrate ist mit Unsicherheit verbunden, da Geringbeschäftigte und Selbstständige zwar unfall- aber nicht sozialversicherungspflichtig sind.