Gesundheitswesen 2010; 72 - V277
DOI: 10.1055/s-0030-1266483

Kindervorsorge-Untersuchungen und Frühe Hilfen – die Sicht sozial benachteiligter Mütter

N Wolf-Kühn 1, R Geene 2, C Höppner 3
  • 1Hochschule Magdeburg-Stendal, Stendal
  • 2Hochschuele Magdeburg-Stendal, Stendal
  • 3Alice-Salomon-Hochschule, Berlin

Einleitung/Hintergrund: Auf Initiative der Politik entsteht mit den so genannten Frühen Hilfen aktuell ein neues Versorgungsfeld. Es sollen Angebote auf- und ausgebaut werden, die insbesondere sozial benachteiligte junge Familien darin unterstützen, ihre Aufgaben als Eltern zu bewältigen. Zugleich werden aber auch Kontrollbesuchen bei Familien und verpflichtenden Kindervorsorgeuntersuchungen (U's) durch KinderärztInnen eine Schlüsselrolle zugesprochen. In der Studie geht es um die Sichtweise der NutzerInnen: (1) Wie sehen sozial benachteiligte Mütter die Vorsorge-U's beim Kinderarzt und (2) Welche Frühen Hilfen würden sie bevorzugen? Methodik: Im Rahmen von Lehrforschungsprojekten/Projektseminaren an den Hochschulen Magdeburg-Stendal und Alice-Salomon Berlin wurden benachteiligte Mütter und einige sozial besser gestellte Mütter mit qualitativen Interviews (n=38) zu ihren Ressourcen, ihren Erfahrungen im Gesundheitssystem, ihrer Sichtweise der Kindervorsorge-U's sowie zu Frühen Hilfen befragt. Die Familien wurden nach sozioökonomischem Status sowie dem Family Adversity Index klassifiziert und die Aussagen der sozial benachteiligten Mütter mit den statushöheren Müttern kontrastiert. Ergebnisse: Alle statusniedrigen Mütter nehmen an den Kinder-Vorsorge-U's teil und berichten über einen hohen subjektiven Nutzen der Teilnahme: Sie ermöglicht es ihnen zu fühlen, dass sie ihrer Mutterrolle gerecht werden. Ein weiterer Grund ist das mangelnde Vertrauen in die eigene Fähigkeit zu beurteilen, wie sich das Kind entwickelt. Die ärztliche Autorität versichert, es sei alles in Ordnung. Die besser gestellten Frauen sehen hingegen in der Medizin primär eine Dienstleistung. Sozial benachteiligte Mütter bevorzugen Hilfen, bei denen sie keine Einblicke in ihre Privatsphäre gewähren müssen. Dies sind die medizinischen Hilfen, bei denen der Fokus auf dem Kind, nicht aber der Familie liegt (wie Kinderarzt, Physiotherapie, Frühförderung usw.). Ganzheitliche, familienbezogene Hilfen wehren sie entsprechend eher ab (Eltern-Kind-Gruppen, Müttertreffs). Erfahren sie hingegen soziale Unterstützung (z.B. durch Familienhebammen oder ein gutes soziales Netz), dann wird die Hemmschwelle zur Nutzung solcher Hilfen gesenkt. Familienhebammen werden positiv bewertet. Das Jugendamt sehen sie eher als Bedrohung, es sei denn, sie haben positive Erfahrungen gemacht.