Gesundheitswesen 2010; 72 - V276
DOI: 10.1055/s-0030-1266482

Die Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten im Jugendalter – eine Analyse der „Health Behaviour in School-aged Children (HBSC)“ Studie 2006

I Moor 1, M Richter 2
  • 1Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Bielefeld
  • 2Institut für Sozial- und Präventivmedizin, Bern

Hintergrund: Die bisherige Forschung über gesundheitliche Ungleichheiten im Erwachsenenalter verweist auf den großen Stellenwert materieller, psychosozialer und verhaltensbezogener Determinanten in der Erklärung sozioökonomischer Unterschiede in der Gesundheit. Bislang ist jedoch noch weitgehend unbekannt, inwieweit diese Forschungsergebnisse auch für jüngere Altersgruppen gelten. Das Ziel dieses Vortrags ist es, die relative Bedeutung dieser Faktoren nun erstmals für das Jugendalter herauszustellen. Material und Methodik: Datenbasis ist die deutsche Stichprobe der internationalen „Health Behaviour in School-aged Children (HBSC)“ Studie aus dem Jahr 2006. Insgesamt wurden 7274 Schülerinnen und Schüler im Alter von 11–15 Jahren mit einem standardisierten Fragebogen befragt. Um die relative Bedeutung der einzelnen Erklärungsansätze für sozioökonomische Unterschiede in der Selbsteinschätzung der Gesundheit abschätzen zu können, wurden aufeinander aufbauende logistische Regressionsmodelle berechnet. Der sozioökonomische Status wurde über den familiären Wohlstand (FAS) gemessen. Ergebnisse: Je niedriger das familiäre Wohlstandsniveau, desto schlechter wird die Gesundheit eingeschätzt. Im Vergleich zu sozial besser gestellten Jugendlichen, haben Jungen und Mädchen mit einem niedrigem FAS ein 1,7-fach bzw. ein 2,1-fach erhöhtes Risiko einer schlechteren subjektiven Gesundheit. Die drei Faktorengruppen zeigten in den getrennt berechneten Modellen jeweils etwa einen gleich hohen Stellenwert von ca. 40% (Ausnahme bei den Jungen: Gesundheitsverhalten). In der gemeinsamen Analyse, unter Berücksichtigung aller intermediären Variablen, konnten insgesamt 60–80% der gesundheitlichen Ungleichheiten erklärt werden. Materielle Determinanten nahmen aufgrund ihres direkten und indirekten Einflusses (über psychosoziale und verhaltensbezogene Faktoren) die wichtigste Rolle ein. Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse zeigen, dass die wichtigsten Verursachungsmechanismen gesundheitlicher Ungleichheiten im Erwachsenenalter auch für das Jugendalter gelten. Strategien zur Reduzierung gesundheitlicher Disparitäten im Jugendalter sollten ihren Fokus nicht nur auf das Gesundheitsverhalten legen, sondern verstärkt die materiellen Lebensbedingungen sowie den psychosozialen Kontext Jugendlicher berücksichtigen.