Gesundheitswesen 2010; 72 - V275
DOI: 10.1055/s-0030-1266481

Veränderung der Bedeutung einzelner Faktoren der familiären Lebenswelt für die Gesundheit von der frühen Kindheit bis zum Jugendalter – Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS)

P Rattay 1
  • 1Robert Koch-Institut, Berlin

Einleitung/Hintergrund: Die Familie bildet im Kindes- und Jugendalter die zentrale Sozialisationsinstanz. Aber welche familiären Faktoren sind für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in welchem Alter von Bedeutung? Material/Methoden: Der Frage wird am Beispiel des durch die Eltern eingeschätzten allgemeinen Gesundheitszustandes nachgegangen. Datenbasis bildet die 2003–2006 durchgeführte, für Deutschland repräsentative KiGGS-Studie (Stichprobengröße: 8.656 Mädchen, 8.985 Jungen). Zur Quantifizierung der Effektstärken familiärer Faktoren für eine „sehr gut“ eingeschätzte Gesundheit wurden mittels binär logistischer Regressionen Odds Ratios und ihre 95%-Konfidenzintervalle berechnet. Einbezogen wurden strukturelle, sozioökonomische und soziokulturelle Faktoren, Wohnverhältnisse, Übergewicht und Gesundheitsverhalten der Eltern sowie das Familienklima. Um Veränderung im Altersverlauf identifizieren zu können, wurde nach 5 Altersgruppen und Geschlecht stratifiziert. Ergebnisse: Multivariate Analysen belegen die hohe Bedeutung von Sozialstatus und Familienklima für eine sehr gute Gesundheit. Während sich bei Jungen der soziale Gradient mit dem Alter verstärkt (bei hohem Sozialstatus steigt die Chance auf eine sehr gute Gesundheit (Referenzgruppe: niedriger Sozialstatus) vom 1,11-Fachen (95%-KI [0–2Jahre]=0,72–1,69) stetig auf das 2,03-Fache (95%-KI [14–17Jahre]=1,33–3,09), zeigen sich bei Mädchen im Kindergartenalter die größten Unterschiede zwischen niedrigem und hohem Sozialstatus (OR [3–6Jahre]=2,51; 95%-KI= 1,72–3,68). Eine Besonderheit der frühen Kindheit (0–2 Jahre) ist, dass bei beiden Geschlechtern anstelle des Sozialstatus der Migrationshintergrund signifikanten Einfluss besitzt. Beim Familienklima (skaliert von 1–10) ergeben sich für Jungen konstant über alle Altersgruppen ORs zwischen 1,22 und 1,27 (95%-KI [3–6Jahre]=1,11–1,34; 95%-KI [14–17Jahre]=1,16–1,39). Bei Mädchen steigen die ORs zum Familienklima bis zum Alter von 11–13 Jahren an (OR=1,37; 95%-KI= 1,22–1,54), um dann unter das Niveau der Jungen zu fallen (OR[14 17Jahre]=1,17; 95%-KI=1,07–1,29). Die Familienform erreicht in der multivariaten Betrachtung über alle Altersgruppen hinweg keine Signifikanz, Übergewicht und Gesundheitsverhalten der Eltern nur in einzelnen Altersphasen. Diskussion/Schlussfolgerungen: Die insbesondere bei männlichen Jugendlichen hohe Bedeutung von Sozialstatus und Familienklima zeigt, dass die international in den Jugendgesundheitswissenschaften diskutierte Abschwächung gesundheitlicher Ungleichheit im Jugendalter mit Blick auf die subjektive Gesundheit für Deutschland keine Bestätigung findet.