Gesundheitswesen 2010; 72 - WS62
DOI: 10.1055/s-0030-1266478

Grundlagen der Priorisierung in den Niederlanden – Ergebnisse einer Länderstudie

T Clemens 1
  • 1Maastricht University, Maastricht

Hintergrund: Die Gesundheitssysteme in Europa stehen zunehmend vor der Frage ihrer finanziellen Überlebensfähigkeit bedingt durch die (Kosten-) Effekte des demografischen Wandels und medizinischer Innovationen. Reformen mit dem Ziel der Effizienzsteigerung und der Bereitstellung weiterer finanzieller Mittel sind hier nicht alleine ausreichend bzw. ihre Potenziale scheinen ausgeschöpft. Die Beschäftigung mit Priorisierung medizinischer Leistungen als mögliche weitere Alternative hat in vielen europäischen Ländern mit unterschiedlicher Intensität zugenommen. Priorisierung wird jedoch nicht als einfache Aufgabe empfunden und wirft dabei u.a. auch moralische Fragen auf. Da die Diskussion um Prioritätensetzung im deutschen Gesundheitswesen gerade an ihrem Anfang steht, sollte die Aufarbeitung der Diskussionen in den Niederlanden mögliche Anreize und Hindernisse für den deutschen Kontext identifizieren. Die Länderstudie zielte auf eine Analyse der Priorisierungsdebatte aus verschiedenen Perspektiven (sozial-medizinisch, rechtlich, ethisch) ab. Methoden: Der Länderstudie lag ein qualitatives Design zugrunde, um die verschiedenen Perspektiven zu analysieren. Eine Literaturrecherche in internationalen sowie nationaler Datenbanken und Webseiten relevanter niederländischen Institutionen wurde kombiniert mit teilstandardisierten Experteninterviews, die die verschiedene Themenfelder abdeckten. Literaturrecherche und Interviews wurden durch die Erkenntnisse aus der jeweils anderen Methode spezifiziert. Ergebnisse: Die niederländische Diskussion um Priorisierung war früh durch den Dunning Report sichtbar. Die aufgestellten Kriterien – auch späterer Kommissionen – waren problematisch um in der Praxis zu übertragen. Sodass zum einen, bis heute kein einheitliches Bewertungssystem für Priorisierungsentscheidungen gefunden werden konnte. Zweitens, wurde die Diskussion vom Kriterium der medizinischen Notwendigkeit auf (Kosten-) Effizienz verlagert. Des Weiteren, war Bürgerbeteiligung lange auf die individuelle Arzt-Patienten Beziehung beschränkt – und nicht auf politische Entscheidungen fokussiert, obwohl in der niederländischen Gesellschaft Konsensfindung als wichtig erachtet wird. Schlussfolgerung: Die Erkenntnisse aus den Niederlanden sind hilfreich, um die Priorisierungsdebatte in Deutschland zu etablieren. Die deutsche Diskussion und deren Fragestellungen können von den gemachten niederländischen Erfahrungen profitieren, um langfristig zu einer medizinischen Versorgungssicherheit beizutragen.