Gesundheitswesen 2010; 72 - V263
DOI: 10.1055/s-0030-1266465

Einstellungen zur Gesundheitsversorgung im Alter aus der Sicht von Angehörigen der zweiten Generation hochaltriger Menschen

G Seidel 1, N Schneider 1, M Dierks 1, U Walter 1
  • 1Medizinische Hochschule Hannover, Hannover

Hintergrund und Ziele: Angesichts der steigenden Lebenserwartung der Menschen tritt die Frage nach Anforderungen an die Gestaltung der Gesundheitsversorgung für hochaltrige Patienten (80 Jahre und älter) immer mehr in den Vordergrund. Besonders relevant ist, welche Erwartungen die nachwachsende Generation auf der Basis ihrer Erfahrungen mit der Gesundheitsversorgung ihrer Eltern formuliert. Material und Methoden: 31 qualitative telefonische Leitfadeninterviews wurden mit Söhnen und Töchtern hochaltriger Patienten durchgeführt. Diese wurden auf der Basis eines theoretical sampling über Beratungsinstitutionen rekrutiert. Die Interviews wurden inhaltsanalytisch ausgewertet (ATLAS TI). 1.268 Aussagen zu den Themenbereichen Versorgungsabläufe, Autonomiewünsche und Prävention konnten identifiziert und kodiert werden, diese wurden zu 19 übergreifenden Kategorien zusammengefasst. Ergebnisse: 87% der Befragten waren Frauen, durchschnittlich 56,3 Jahre alt. Viele hatten einen hochaltrigen, pflegebedürftigen Angehörigen (67,8%). Den meisten fehlten konkrete Vorstellungen über ihre eigene Versorgung im hohen Alter. Am ehesten wurden Überlegungen zur Wohnsituation geäußert: Ein Drittel möchte so lange wie möglich in der eigenen Wohnung leben, ein Leben im Heim ist aus Angst vor Autonomieverlust kaum vorstellbar. 50% hat eine rechtliche Vorsorge für sich selbst getroffen, das Wissen über entsprechende Dokumente ist lückenhaft. Mit der Gesundheitsversorgung ihrer hochaltrigen Angehörigen waren die Befragten zufrieden, die Zuwendung der Professionellen spielt eine entscheidende Rolle. Kritik steht häufig im Zusammenhang mit dem Faktor Zeit (zu wenig Zeit für Gespräche/Information). Pflegende Angehörigen sind psychisch und körperlich stark belastet, besonders Pflegende von Demenzkranken. Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse unterstreichen die Relevanz einer kontinuierlichen Beziehung zwischen Patienten bzw. Angehörigen und den Behandlern. Notwendig sind tragfähige professionelle Unterstützungssysteme, die Angehörige körperlich, psychisch und organisatorisch entlasten. Zu diskutieren ist, wann eine eigene Auseinandersetzung mit der Versorgung im Alter stattfinden soll, welche Vor- und Nachteile eine vor Eintreten von schweren Einschränkungen ansetzende Umorganisation des häuslichen Lebens hat und welche Möglichkeiten das Gesundheitssystem anbieten kann, die Auseinandersetzung von Menschen mit ihrem Alterungsprozess zu fördern.