Gesundheitswesen 2010; 72 - V244
DOI: 10.1055/s-0030-1266440

Anstieg spezifischer ambulanter Diagnosestellungen nach Bekanntgabe der im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich 2009 berücksichtigten Diagnosen und Aufgreifkriterien

V Arndt 1, L Tennie 1, D Göpffarth 1
  • 1Bundesversicherungsamt, Risikostrukturausgleich, Bonn

Hintergrund: Mit der Einführung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) zum 01. Januar 2009 wurden Befürchtungen geäußert, dass hierdurch Anreize zum Upcoding (ungerechtfertigtes Kodieren von Diagnosen) bzw. Right-Coding („Nachbessern“) von Diagnosen gesetzt werden. Da die Dokumentation von bestimmten Erkrankungen durch die ärztlichen Leistungserbringer Zuweisungen aus dem Gesundheitsfond an die Krankenkassen auslösen können und bis dato keine Kodierrichtlinien für den ambulanten Bereich vorliegen, wird ein hohes Up- bzw. Right-Coding-Potenzial für Diagnosen aus dem ambulanten Bereich gesehen. Systematische Untersuchungen zu möglichen Auswirkungen des Morbi-RSA auf das Kodierverhalten liegen bislang nicht vor. Material und Methoden: Die im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich 2009 berücksichtigten Diagnosen und Aufgreifkriterien wurden zum 30. September 2008 bekannt gegeben. Anhand der Daten der GKV-Vollerhebung (70 Mill. Versicherte) aus dem Jahr 2007 und 2008 wurden zeitliche Trends bei der Häufigkeit von gesicherten Diagnosen (Zusatzkennzeichen „G“) aus der vertragsärztlichen ambulanten Versorgung untersucht. Ergebnisse: Über alle Diagnosen und auf Kalenderjahrebene aggregiert fand sich zwischen 2007 und 2008 ein Anstieg der gesicherten Diagnosen um 6%. Deutliche Anstiege fanden sich bei folgenden Erkrankungen: Dialysepflichtige Niereninsuffizienz (+ 35%), Spinalkanalstenose (+20%), Diabetes mit renalen Manifestationen (+17%), Atherosklerose mit Ulkus oder Gangrän (+17%), Lymphknotenmetastasen (+16%), Erkrankungen der Speiseröhre (+16%), Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (+14%), Demenzerkrankungen (+13%), Pathologische Frakturen (+12%) und Stoffwechselstörungen (+12%). Besonders auffallend war die Zunahme des ICD-Codes Z49.1 (Extrakorporale Dialyse) zwischen dem 4. Quartal 2007 (n=20.998) und dem 4. Quartal 2008 (n=46.396) um über 120%. Schlussfolgerungen: Bereits wenige Monate nach Bekanntgabe der im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich berücksichtigen Krankheiten ist für einzelne, besonders kostenintensive Erkrankungen ein Anstieg der Diagnosehäufigkeit zu verzeichnen. Ob es sich dabei um „Upcoding“ bzw. „Rightcoding“-Phänomene oder der Schließung von Erfassungslücken handelt, kann noch nicht abschließend beurteilt werden. Insgesamt sind aber die Veränderungen über alle Diagnosen betrachtet moderat. Im Rahmen der Präsentation sollen weitergehende Analysen (Poisson-Regression, Joinpoint-Analyse) unter Berücksichtigung zusätzlicher Parameter (Arzneimittelverordnungen, sektorale bzw. regionale Unterschiede) vorgestellt werden.