Gesundheitswesen 2010; 72 - V154
DOI: 10.1055/s-0030-1266334

Jodversorgung in Schwangerschaft und Stillzeit als Beispiel für Beratungsdefizite und soziale Ungleichheit im deutschen Gesundheitswesen

B Schücking 1, S Röhl 1
  • 1Universität Osnabrück, FB 08/Gesundheitswissenschaften, Osnabrück

Hintergrund: Bedarfsgerechte Jodversorgung während Schwangerschaft und Stillzeit ist eine höchst wirksame primäre Prävention für die geistige und körperliche Entwicklung des Ungeborenen und späteren Säuglings, und auch für die Mutter kann durch effektive Beratung zur Jodsubstitution primär präventiv einer jodmangelbedingten Struma während und nach einer Schwangerschaft vorgebeugt werden. Da die alimentäre Versorgung aufgrund des geringen Spektrums jodhaltiger Lebensmittel schwierig ist, wird Schwangeren und Stillenden die Substitution von 100–200µg Jodid/Tag empfohlen. Material und Methoden: In der BMBF-geförderten Studie wurden 1128 Wöchnerinnen hinsichtlich der Beratung zur Jodversorgung und Jodid-Substitution sowie zur tatsächlichen Jodzufuhr in Schwangerschaft und Stillzeit befragt. Der t1 erfolgte im Wochenbett; der t2 wurde 1 Jahr post partum durchgeführt. Ergebnisse: 25% der befragten Frauen wurde zum Ende der Gravidität oder gar nicht darüber informiert, dass der Jodbedarf in der Schwangerschaft erhöht ist. Bei Frauen mit dem niedrigsten Bildungsabschluss lag der Anteil der nicht bzw. spät informierten Frauen bei 44%. Die Empfehlung einer Jodsubstitution während der Schwangerschaft erhielten 61%. Die ausdrückliche Empfehlung einer Jodsubstitution hat sich in der logistischen Regression sowohl für die Schwangerschaft als auch für die Stillzeit als der wesentlichste Einflussfaktor auf die Einnahme von jodidhaltigen Präparaten erwiesen (OR=11,50, 95%-KI: 7,44–17,79; OR=16,06, 95%-KI: 9,72–26,53). Umso gravierender wirkt sich aus, dass sich für den Empfehlungsumfang eine Bildungsabhängigkeit zeigt (Chi-Quadrat-Test, p=0,000). Die Einnahme von jodhaltigen Präparaten wurde 43% der Frauen mit dem niedrigsten und 66% der Frauen mit dem höchsten Bildungsabschluss empfohlen. Schlussfolgerungen: Die nicht ausreichende Jodversorgung ist auf Beratungsdefizite zurück zuführen, von denen weniger gebildete Frauen erheblich häufiger betroffen sind. Die Frauenarztpraxis als zentraler Beratungsort sollte effiziente und zielgruppenorientierte Beratung intensivieren. Hier sind Fortbildungs- und Schulungsangebote auszubauen.