Gesundheitswesen 2010; 72 - V135
DOI: 10.1055/s-0030-1266315

Gesundheitliche Ungleichheit in 27 Wohlfahrtsstaaten: Eine Mehrebenenanalyse zur Relevanz individueller und makrostruktureller Determinanten der Gesundheit im Kindes- und Jugendalter

K Rathmann 1, M Richter 2
  • 1Hertie School of Governance Berlin, Berlin
  • 2Institut für Sozial- und Präventivmedizin, Bern, Schweiz

Einleitung/Hintergrund: Dass die wohlfahrtsstaatliche Organisationsform, die Ausgaben für soziale Sicherung, das Wohlstandsniveau und die Einkommensungleichheit auf Gesellschaftsebene einen bedeutenden Einfluss auf die Gesundheit der Bevölkerung allgemein und speziell auf gesundheitliche Ungleichheiten ausübt, ist für Erwachsene bereits belegt worden. Welche Unterschiede in der Gesundheit und der gesundheitlichen Ungleichheit von Kindern und Jugendlichen aufgrund dieser makrostrukturellen Faktoren vorliegen, ist bislang wenig erforscht. Der Beitrag untersucht, welche Unterschiede in der subjektiven Gesundheit und sozioökonomisch bedingten Ungleichheit in der Gesundheit bei 11- bis 15-Jährigen zwischen Wohlfahrtsregimes und aufgrund makrostruktureller Determinanten bestehen. Material und Methoden: Datenbasis ist die internationale „Health Behaviour in School-aged Children“-Studie 2005/06. Insgesamt 27 europäische und nordamerikanische Länder (n=134.632) wurden in fünf Wohlfahrtsregimes zusammengefasst (sozialdemokratisch, konservativ, liberal, süd- und osteuropäisch). Um die Relevanz individueller und makrostruktureller Determinanten für die subjektive Gesundheitseinschätzung und psychosomatische Beschwerdelast abzuschätzen, wurden hierarchische Regressionsmodelle mit der Software HLM berechnet. Die Modelle bezogen schrittweise die individuellen Determinanten (familiärer Wohlstand, Alter und Geschlecht) und die makrostrukturellen Variablen (BIP, Gini, soziale Sicherungsausgaben sowie Dummy-Variablen für die Wohlfahrtsregimes) in die Analysen ein. Ergebnisse: Heranwachsende im liberalen Regime (b=0,19, p=0,000) schätzten ihre Gesundheit schlechter ein als in anderen Regimes. Die beste selbsteingeschätzte Gesundheit berichteten Jugendliche im südeuropäischen Regime (b=–0,10, p=0,05). Länder mit unterdurchschnittlichen Ausgaben für soziale Sicherung wiesen stärkere sozioökonomisch bedingte Unterschiede in der Gesundheit auf. Die psychosomatischen Beschwerden und die sozioökonomische Ungleichheit in der Beschwerdelast fielen ebenfalls im liberalen Regime und in Ländern mit hoher Einkommensungleichheit am höchsten aus. Diskussion/Schlussfolgerungen: Die beiden Gesundheitsindikatoren und die sozioökonomisch bedingten Unterschiede in der Gesundheit variieren nach Wohlfahrtsregimes und aufgrund der makrostrukturellen Determinanten. Daher sollte die Reduzierung gesundheitlicher Ungleichheiten bereits im Kindes- und Jugendalter zunehmend auf (sozial-) politischer Ebene fokussiert werden.