Gesundheitswesen 2010; 72 - WS16
DOI: 10.1055/s-0030-1266219

Ein allgemeiner Erklärungsansatz zum Wandel von Gesundheitssystemen in OECD-Ländern (eingeladener Vortrag)

H Rothgang 1
  • 1Universität Bremen, Zentrum für Sozialpolitik, Bremen

Gesundheitssysteme lassen sich anhand von drei Dimensionen charakterisieren: der Finanzierung, Leistungserbringung und Regulierung. In allen drei Dimensionen sind seit dem Ende des „Goldenen Zeitalters des Wohlfahrtsstaates“ in den 1970er Jahre Wandlungsprozesse wahrzunehmen: In der Finanzierungsdimension zeigt sich insbesondere eine Konvergenz der öffentlichen Finanzierungsanteile, bei der Leistungserbringung gibt es einen gemeinsamen Privatisierungstrend und in der Regulierung ist eine Hybridisierung zu konstatieren, die sich durch die Implementation bislang systemfremder Steuerungsmechanismen in die Gesundheitssysteme ergibt. So wird Wettbewerb seit den 1990er Jahre verstärkt in nationale Gesundheitssysteme und Sozialversicherungssysteme implementiert, während stärker hierarchische Steuerung in privaten Gesundheitssystemen, aber auch in Sozialversicherungssystemen zum Einsatz kommt und das vormals dominant private System der USA inzwischen sogar Elemente einer Korporatisierung aufweist. Wie können diese Entwicklungen erklärt werden? In dem geplanten Beitrag wir zunächst ein allgemeiner Erklärungsansatz skizziert, der auf das Zusammenwirken von Problemdruck, systemspezifischen Defiziten, vorherrschenden Ideen, akteursspezifischen Interessenlagen und institutionellen Blockadefaktoren abstellt. Der Problem- und Anpassungsdruck wird insbesondere durch den demografischen Wandel, den medizinisch-technischen Fortschritt und veränderte Patientenansprüche erzeugt. Die Richtung des Wandels hängt in erster Linie vom Gesundheitssystem ab, das jeweils unterschiedliche Defizite aufweist, die über vorherrschende Ideen einer einheitlichen Interpretation unterworfen werden. Ein unterschiedliches Tempo des Wandels wiederum wird insbesondere durch die nationalstaatlichen Macht- und Interessenkonstellationen erzeugt. Anhand von Fallstudien zu Deutschland, England und den USA wird dieser Erklärungsrahmen dann exemplarisch ausgefüllt. Insofern der Gesundheitssystemtyp als entscheidender Weichensteller für die Richtung des Wandels thematisiert wird, wird zudem auf Material aus anderen Gesundheitssystemen desselben Typs zurückgegriffen, um so die vorgetragene Erklärung zu überprüfen.