Gesundheitswesen 2010; 72 - V30
DOI: 10.1055/s-0030-1266194

Ethische, ökonomische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte der Allokation kostspieliger biomedizinischer Innovationen unter finanziellen Knappheitsbedingungen: Exemplarische Untersuchungen zur expliziten und impliziten Rationierung

A Neumann 1, J Biermann 1, D Freyer 1, K Börchers 1, P Schnell-Inderst 2, D Strech 3, S Reimann 4, G Marckmann 5, C Held 6, S Huster 6, J Wasem 7
  • 1Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen, Essen
  • 2Department of Public Health, Information Systems and Health Technology Assessment, UMIT, Hall, Österreich
  • 3Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
  • 4Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Eberhard-Karls Universität Tübingen Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin, Medizinische Hochschule Hannover, Tübingen, Hannover
  • 5Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Eberhard-Karls Universität Tübingen, Tübingen
  • 6Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht mit besonderer Berücksichtigung des Sozialrechts, Ruhr-Universität Bochum, Bochum
  • 7Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg, Essen

Einleitung/Hintergrund: Die (gerechtigkeits-)ethischen sowie gesundheitsökonomischen Aspekte der Mittelverteilung im Gesundheitswesen sind bereits vielfach diskutiert. Sofern Leistungsbegrenzungen notwendig sind, können diese in zwei unterschiedlichen Arten durchgeführt werden Explizite Leistungsbegrenzungen erfolgen „oberhalb“ der individuellen Arzt-Patienten-Beziehung nach ausdrücklich festgelegten, allgemein verbindlichen Kriterien. Bei impliziten Leistungsbegrenzungen, die derzeitig vorherrschen, erfolgt die Zuteilung hingegen nicht nach vorgegebenen Regeln, sondern jeweils im Einzelfall durch die Ärztinnen und Ärzte. Die Zielsetzung des Forschungsvorhabens bestand darin, die Möglichkeiten und Grenzen der impliziten und expliziten Rationierung in zwei ausgewählten Praxisbereichen, der interventionellen Kardiologie und der Intensivmedizin zu untersuchen. Zu diesem Zweck sollten exemplarische Versorgungsstandards in Form von Kostensensiblen Leitlinien entwickelt werden. Material/Methoden: In ausgewählten Indikationen der Praxisbereiche wurde die empirische Evidenz zur Effektivität und Kosteneffektivität ausgewertet. Im Bereich der Kardiologie wurden Drug Eluting Stents und implantierte Defibrillatoren, für die Intensivmedizin der aktivierter) avisiert.®) oder aktiviertes Protein C (Xigris®Faktor VII (NovoSeven Darüber hinaus wurden Recherchen zu thematisch einschlägigen Leitlinien und Versorgungsstandards vorgenommen. Es wurden Patientengruppen identifiziert, die einen unterschiedlich großen Nutzen von den jeweiligen medizinischen Maßnahmen haben. Des Weiteren wurde die Kosteneffektivität für die verschiedenen Subgruppen bestimmt und die Daten in eine medizinische Leitlinie eingearbeitet. Ergebnisse: Evidenz für die medizinische Effektivität der oben genannten Technologien konnte identifiziert und aufgearbeitet werden. Abgrenzbare Subgruppen, die abweichend von der Leitlinie eine Leistungsbegrenzung aufgrund der Kosteneffektivität begründbar machten, ließen sich jedoch lediglich für die Technologien Stents und implantierbare Defibrillatoren ermitteln. Für diese beiden Technologien wurden exemplarische Kostensensible Leitlinien erstellt. Diskussion/Schlussfolgerungen: Die Erarbeitung Kostensensibler Leitlinien als Instrument der expliziten Leistungsbegrenzung ist – unter entsprechenden Zeit- und Ressourcenaufwand – möglich. Die Erstellung erfordert jedoch eine ausreichende Verfügbarkeit von Daten zur Effektivität sowie zur Kosteneffektivität bei spezifischen Subgruppen von Patienten. Insbesondere Daten in Bezug auf diese Subgruppen sind nicht regelhaft vorhanden. Insgesamt ist noch nicht absehbar, inwiefern dieses Instrument Eingang in die Versorgungspraxis finden kann.