Gesundheitswesen 2010; 72 - V25
DOI: 10.1055/s-0030-1266189

Eine gesundheitsfördernde Schule für alle – Chancengleichheit und Teilhabe von Grundschulkindern mit Behinderung – eine qualitative Analyse über Herausforderungen und Umsetzungsmöglichkeiten

S Krenz 1, U Walter 1
  • 1Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover

Hintergrund: Die Erweiterung des Behinderungsverständnisses der WHO zum bio-psychosozialen Modell der ICF impliziert eine Abkehr vom Defizitmodell hin zur Teilhabe in allen Lebensbereichen. Mit der Ratifikation des Übereinkommens der Vereinten Nationen (UN) über die Rechte von Menschen mit Behinderung steht Deutschland seit 2009 vor der Herausforderung dieses umzusetzen. Das Übereinkommen verfolgt den Empowerment-Ansatz und hat die Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung in ihrer Einzigartigkeit sowie deren Stärkung der Selbstbestimmung zum Ziel. Maßgeblich ist die Inklusion, die das Konzept einer „Pädagogik der Vielfalt“ und eine Schule für alle anstrebt bei gleichem Recht auf Bildung (Art.24) und Gesundheit (Art.25). Die explorative Studie verbindet die Perspektiven Inklusion und Gesundheitsförderung. Ziel ist es, Erfahrungen, Herausforderungen und Umsetzungsmöglichkeiten von Inklusion in Grundschulen mit gesundheitsförderlicher Ausrichtung zu ermitteln sowie zu eruieren, wie eine „gesundheitsfördernde Schule für alle“ etabliert werden kann. Methode: Mittels Leitfadeninterview wurden 16 SchulleiterInnen bzw. LehrerInnen gesundheitsfördernder Grundschulen befragt, die mit dem Präventionspreis 2009 ausgezeichnet wurden und/oder am Projekt Gesund Leben Lernen teilnehmen. Das transkribierte qualitative Material wurde durch kategorienbasierte strukturierende Inhaltsanalyse mithilfe MAXQDA ausgewertet. Ergebnisse: Bei Kindern mit Behinderung wird dieselbe Notwendigkeit für Gesundheitsförderung gesehen wie bei Kindern ohne Beeinträchtigung. Erstere müssen zudem spezifische Therapien und Hilfen erhalten. Die Mehrheit der Befragten berichtet von positiven Erfahrungen der gemeinsamen Beschulung sowie von der Teilhabe aller an gesundheitsfördernden Programmen. Sie führt aber auch Grenzen auf. Fast die Hälfte der Befragten kennt das UN-Übereinkommen nicht. Kinder mit Lernbehinderungen und Verhaltensauffälligkeiten dominieren in den gesundheitsfördernden Grundschulen gegenüber Kindern mit körperlichen, geistigen oder anderen Beeinträchtigungen. Als wesentliche Probleme bei der Etablierung von Inklusion in Grundschulen werden fehlendes Fachwissen, räumliche Barrieren, Personalmangel sowie negative Einstellungen des Lehrpersonals und der Elternschaft gegenüber gemeinsamer Beschulung genannt. Vermehrte Information über Behinderung, Sensibilisierung gegenüber Vorbehalten, Reduktion von Vorurteilen und gesetzliche Verankerung werden als notwendige Voraussetzungen zur Etablierung von Inklusion gesehen.