Dtsch Med Wochenschr 1925; 51(6): 224-226
DOI: 10.1055/s-0028-1136457
© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Tierexperimentelle Untersuchungen über die Möglichkeit einer Gefährdung durch Narcylenbetäubung

Kurt P. Müller, Friedrich Mallebrein
  • Aus der Gynäkologischen Abteilung des Diakonissenhauses Freiburg i. Br. (Damaliger Chefarzt: Prof. C. J. Gauß.)
Further Information

Publication History

Publication Date:
23 May 2009 (online)

Zusammenfassung

1. Ein mit Narcylen regelrecht betäubtes Tier zeigt keinerlei Störung der Organfunktionen. Es werden solche auch nicht beobachtet, wenn die Betäubung sehr lange fortgesetzt wird. Wiederholte Betäubungen, selbst in kurzen Zeitabständen, zeigen keine Kumulationswirkung des betäubenden Gases. Die Betäubungsbreite des Narcylens ist auffallend groß und für die einzelnen Tierarten leicht bestimmbar, unterliegt aber gewissen individuellen Schwankungen.

2. Durch hohe Narcylenkonzentrationen kann man Tiere zu Tode bringen. Klinisch geht dem Tod eine Reihe bestimmter, sinnfälliger Symptome voraus, die in erster Linie die Atmung betreffen. Die Reihenfolge dieser Gefahrzeichen ist: starke Beschleunigung (das 3—4fache der Norm), Abflachung, gelegentlich Unregelmäßigkeit und dann plötzlich Absinken der Atmung bis zum Atemstillstand, dem fast stets typische Konvulsionen vorhergehen. Von 28 Fällen eines ausgeprägten Atemstillstandes waren 24 durch sofortige Unterbrechung der Gaszufuhr reversibel; 4 Fälle, bei denen die Betäubung noch eine Weile über den Atemstillstand hinaus fortgeführt wurde, blieben irreversibel.

3. Eine wesentliche Beeinflussung der Herztätigkeit durch hohe Narcylenkonzentrationen war klinisch nicht festzustellen. In den Fällen von Atemstillstand überdauerte die Herzaktion den Eintritt desselben bis zu 16 Minuten 30 Sekunden.

4. Das Entstehen des Stridors ist bei der Narcylenbetäubung mit mittleren Konzentrationen meist auf dieselbe (mechanische) Ursache zurückzuführen wie bei Aether- und Chloroformnarkosen. Hohe Konzentrationen von Narcylen können dagegen anscheinend per se (infolge Sauerstoffmangel?) Stridor hervorrufen, der anfänglich nur exspiratorisch, später auch inspiratorisch aufzutreten pflegt.

5. Die bei der Narcylenbetäubung beobachteten Extremitätenzuckungen sind nicht als Gefahrzeichen anzusehen; sie wurden bei mittleren und hohen Narcylenkonzentrationen in gleicher Weise beobachtet. Als Ausdruck höchster Gefahr sind dagegen starke, bei hohen Konzentrationen auftretende konvulsivische Abwehrbewegungen anzusprechen, da ihnen in wenigen Sekunden Atemstillstand zu folgen pflegt.

6. Postnarkotische Erkrankungen der Atemwege traten bei langen oder wiederholten Betäubungen auch dann nicht in Erscheinung, wenn hohe und höchste Narcylenkonzentrationen verwandt wurden. Eine zu Lungenschädigungen disponierende Salivation wurde in der Regel nicht beobachtet. Nur die Katze salivierte, tat dies aber schon vor der Betäubung beim Festschnallen; eine einmalige Injektion von 0,00015 Scopolamin. hydrobrom. — am besten eine Stunde vor der Betäubung — kupierte die Salivation völlig. In einem Fall konnten wir bei einem mit 70% betäubten Kaninchen durch Zugabe von Aether Salivation hervorrufen.

7. Narcylenbomben mit einem Druck von weniger als zwei Atmosphären scheiden mit dem Azetylen gemeinsam Azeton aus. Verwendet man dieses Gasgemisch zur Betäubung, so sind deutliche Abweichungen von normalen Verlauf festzustellen: zum Eintritt der Betäubung wurden höhere Narcylenkonzentrationen benötigt, ohne daß diese zu den oben beschriebenen Gefahrzeichen führten; das Erwachen aus der Betäubung dauerte außerdem — unter gleichzeitig deutlich verlängerter Azetonausscheidung durch die Lunge — auffällig länger. Trotzdem eine Gefährdung des Lebens durch erhöhte Azetonbeimischung nicht festgestellt werden konnte, ist die Verwendung von Narcylenflaschen unter zwei Atmosphären Druck zu vermeiden.

    >