Dtsch Med Wochenschr 1948; 73(5/08): 77-80
DOI: 10.1055/s-0028-1118056
Klinik und Forschung

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Wesen und Bekämpfung der Kachexie bei chronischen Unterleibsentzündungen der Frau

F. A. Wahl
  • Universitätsfrauenklinik Köln
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
02. Juni 2009 (online)

Zusammenfassung

Das Wesen der Kachexie nach chronischen Unterleibsentzündungen der Frau liegt in einer durch Bakterientoxine und Zerfallsprodukte des Körpers, durch Eiweißverlust und unternormale Ernährung und wohl auch durch den sogenannten protrahierten Kollaps bedingten Verminderung der Substanz und einer Schwächung der Abwehrlage des Organismus.

Der festumrissene Symptomenkomplex und der Ablauf der Erscheinungen berechtigen, in dieser Form der Kachexie ein eigenes Krankheitsbild zu erblicken. Zur Beurteilung der Schwere und Reversibilität des Zustandes ist neben den klinischen Erscheinungen auch das Blutbild von großem Wert.

Therapeutisch müssen wir von den früheren Auffassungen abrücken, wonach in erster Linie der Unterleibsprozeß als Ausgangsherd kausal behandelt wird. Ohne die Kausaltherapie in ihrer anerkannten antibakteriellen Bedeutung und Anwendung zu berühren, muß die symptomatische Beeinflussung des kachektischen Allgemeinzustandes als dringlichste Aufgabe vorangestellt, zumindest aber gleichzeitig betrieben werden. Das durch vermehrte Proteolyse, durch eitrige Sekretion, durch das fieberbedingt erhöhte Eiweißminimum und durch den eingeschränkten Appetit verursachte, täglich zunehmende Eiweißdefizit muß durch parenterale Eiweißzufuhr ausreichend gedeckt werden. Nach eigenen klinischen Erfahrungen ist zu empfehlen, tägliche Bluttransfusionen von 50 bis 100 ccm oder Seruminfusionen von 150 bis 300 ccm vorzunehmen und diese Behandlungskur etwa 3 Wochen durchzuhalten.

Neben dieser parenteralen Eiweißzufuhr ist auf die natürliche Ernährung nach wie vor Wert zu legen. Da bei der parenteral verhältnismäßig hohen Eiweißgabe getrost eine etwas über den bisherigen Verlust hinausgehende Eiweißausscheidung in Form von eitriger Sekretion in Kauf genommen werden darf, kann man von den bestimmten bisherigen Diäteinschränkungen absehen. So dürfen bedenkenlos Flüssigkeiten, auch in Form von Bier, Rotwein und Sekt, sowie Gewürze ad libitum erlaubt werden.

Analgetica sind nach Bedarf und in ausreichender Menge, Herz- und Kreislaufmittel nicht schematisch, sondern nur bei Bedarf individuell zu verordnen.

An die gelegentlich zu beobachtende katalytische Wirkung eines Milieuwechsels bei besonders hartnäckigen, sich über längere Zeit hinziehenden Fällen muß gedacht werden.

Umfangreiche klinische Erfahrungen haben gezeigt, daß das stets sehr ernste, oft sogar bedrohliche Krankheitsbild der Kachexie im Gefolge chronisch entzündlicher Unterleibserkrankungen der Frau durch eine im Rahmen der beschriebenen Maßnahmen durchgeführte symptomatische Therapie so weit zu beeinflussen ist, daß von einem Aufhalten der progredienten Kachexie gesprochen werden darf. Die Bedeutung dieses therapeutischen Vorgehens liegt in der Hebung der allgemeinen Abwehrlage und in dem Zeitgewinn für die Durchführung der antibakteriellen Kausaltherapie.

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