Zeitschrift für Palliativmedizin 2024; 25(01): 18-20
DOI: 10.1055/a-2221-3603
Forum

„Ach, hätte ich doch früher davon gewusst“

Lösungsansätze zum frühzeitigen hospizlichen und palliativen Verständnis auf kommunaler Ebene am Beispiel Köln
Raymond Voltz

Diesen Satz hören wir im Bereich Palliativ- und Hospizarbeit immer wieder: „Ach, hätte ich doch früher davon gewusst“. Aber warum haben denn die Betroffenen nicht vorher von den Möglichkeiten von Palliativ- und Hospizarbeit erfahren? Hier gibt es psychologisch tiefer gehende Gründe, sowohl aufseiten des Gesundheitssystems als auch aufseiten der Betroffenen selbst. Natürlich ist es nicht einfach, über die Endlichkeit eines Patienten zu reden, umso schwieriger ist es auch, die eigene Endlichkeit anzunehmen.

Aber genau darum geht es in verschiedensten Projekten, die das Palliativzentrum der Uniklinik Köln mit vielen Partner*innen in der Stadt Köln initiiert haben, um diese Brücke zu schlagen. Im Grunde geht es auf beiden Seiten um die Steigerung der Gesundheitskompetenz im Umgang mit Sterben, Tod und Trauer, man könnte auch von „Death Literacy“ sprechen. Es scheint auch so zu sein, dass unsere Gesellschaft in den kommenden Jahren verstärkt lernen muss, resilienter zu sein, resilienter äußeren Feinden gegenüber, resilienter inneren politischen Feinden gegenüber, aber auch resilienter gegenüber den eigenen Lebensschicksalen – und da gehört eben Death Literacy ganz weit vorne mit dazu.

Jedes Jahr sind in unserem Land mindestens 18 % der Bevölkerung von den Themen Sterben, Tod und Trauer akut betroffen. Wie setzt sich diese Zahl zusammen?

Zunächst einmal versterben pro Jahr in Deutschland derzeit etwa 1,2 % der Bevölkerung. Im Mittel hat jeder Verstorbene 5 Zugehörige, natürlich mal weniger und mal mehr. Also sind in einem Jahr bereits 6,2 % direkt oder indirekt vom Versterben in diesem Jahr betroffen.

Dieses Jahr erhalten aber zwei Drittel von den Menschen, die nächstes Jahr vom Tod betroffen sein werden, bereits die Diagnose, sei es als Patient oder als Zugehöriger, denn wir versterben ja zu zwei Drittel mit oder an einer bekannten Erkrankung. Das heißt, dieses Jahr bekommen 0,8 % der Bevölkerung die Diagnose einer im nächsten Jahr zum Tod führenden Erkrankung, und entsprechend sind 4 % als Zugehörige betroffen.

Und schließlich befinden sich weitere 6 % der Bevölkerung im Trauerjahr, nachdem im letzten Jahr ihr Angehöriger verstorben ist. Somit kommt man auf diese Zahl von insgesamt mindestens 18 % der Bevölkerung pro Jahr, die akut von den Themen Sterben, Tod und Trauer betroffen sind – also ein massives gesellschaftspolitisches Thema sowie für das Öffentliche Gesundheitswesen.

Wie also können wir die „Death Literacy“, also die Wahrnehmung dieser Situation, dass wir uns mit der Thematik Tod und Sterben auseinandersetzen müssen auf beiden Seiten, aufseiten des Gesundheitswesens aber auch aufseiten der Bevölkerung erhöhen, sodass Menschen in dieser Lebensphase frühzeitiger an die für sie sinnvollen Hilfen geraten (s. [ Abb. 1 ])? Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns am Zentrum für Palliativmedizin der Uniklinik Köln seit Jahren systematisch als einer unserer wissenschaftlichen wie auch gesellschaftspolitischen Themenschwerpunkte.

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Abb. 1 Death Literacy: Kompetenz im Umgang mit Sterben, Tod und Trauer.


Publication History

Article published online:
09 January 2024

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  • Literatur

  • 1 Voltz R, Dust G, Schippel N. et al. Improving regional care in the last year of life by setting up a pragmatic evidence-based Plan-Do-Study-Act cycle: results from a cross-sectional survey. BMJ Open 2020; 10: e035988
  • 2 Voltz R, Boström K, Dojan T. et al. Is trained communication about desire to die harmful for patients receiving palliative care? A cohort study. Palliat Med 2022; 36: 489-497