Zeitschrift für Palliativmedizin 2022; 23(05): 217-218
DOI: 10.1055/a-1742-2205
Editorial

Ein zukunftsweisender Schritt – Zur Umsetzung der neuen gesetzlichen Regelung zur Förderung der Koordination von Hospiz- und Palliativnetzwerken

Vor gut einem Jahr, am Ende der 19. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags wurde im Rahmen des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) der § 39d SGB V „Förderung der Koordination in Hospiz- und Palliativnetzwerken durch einen Netzwerkkoordinator“ neu in das Sozialgesetzbuch V eingeführt, veröffentlicht im Bundesgesetzblatt am 19. Juli 2021 [1].

Was sich vielleicht unspektakulär anhört, ist für uns in der Hospiz- und Palliativbewegung das Ergebnis eines langen und engagierten Diskussionsprozesses, basierend auf den vielfältigen Entwicklungen und Erfahrungen der Netzwerkarbeit vor Ort. Wegen der grundlegenden Bedeutung regional koordinierter Hospiz- und Palliativnetzwerke war bereits in den Charta-Handlungsempfehlungen (Leitsatz 2, Handlungsfeld 3) ein eigenes Kapitel zum Thema erarbeitet und mit allen Beteiligten der Charta konsentiert worden [2]. Die neue gesetzliche Regelung basiert sehr wesentlich auf diesen Charta-Empfehlungen. Dass wir als Träger der Charta – DGP, DHPV und Bundesärztekammer – frühzeitig beteiligt und in die Ausgestaltung einbezogen wurden, dafür an dieser Stelle ausdrücklich ein großer Dank an die Zuständigen in Politik und BMG – auch wenn die weitergehenden Vorschläge der Charta-Träger insbesondere zur finanziellen Ausgestaltung keinen Eingang in die Neuregelung gefunden haben.

Seit April 2022 liegt auch die für die Umsetzung erforderliche Förderrichtlinie des GKV-Spitzenverbands vor, entstanden unter Beteiligung u. a. von DGP und DHPV [3].

Worum geht es mit der Neuregelung? Und was bedeutet ihre Umsetzung für uns, für die Hospiz- und Palliativversorgung, für die beteiligten Einrichtungen, die Kommunen und vor allem für die Menschen, die eine würdevolle Versorgung und Begleitung am Lebensende brauchen?

Zu den Essentials:

Im Kern geht es darum, dass die gesetzlichen Krankenkassen (einheitlich und gemeinsam) in jedem Kreis und jeder kreisfreien Stadt die Koordination regionaler Netzwerke mit maximal 15 000 Euro/Jahr (Personal- und Sachkosten) fördern unter der Voraussetzung, dass sich auch die Kommune in gleicher Höhe beteiligt. Die Aufgaben des Koordinators/der Koordinatorin werden im Gesetzestext selbst detailliert geregelt: Mit der Unterstützung der Kooperation und des Erfahrungsaustausches untereinander und mit Dritten, der Information der Öffentlichkeit, der Initiierung von Fort- und Weiterbildung oder der bedarfsgerechten Weiterentwicklung der Versorgungsangebote, um nur einige Beispiele zu nennen, geht es dabei immer um die Vernetzung auf der Metaebene – um das Care-Management, nicht um das Case-Management. Weitere Fördervoraussetzungen u. a. zur Netzwerkstruktur, zu Konzept, Antragstellung und Verfahren enthalten die Förderrichtlinien des GKV-Spitzenverbands.

Die derzeitige Situation in Deutschland ist sehr heterogen. „Zum Teil gibt es solche regionalen Netzwerke bereits systematisch organisiert, dies zum Teil auch mit Unterstützung der Kommune …. Häufig aber existieren eher informelle Zusammenarbeitsstrukturen unterschiedlicher Akteure …“ (Charta-Handlungsempfehlungen, S. 80). Eine aktuelle Bestandsaufnahme für NRW bestätigt die Vielfalt in Aufbau, Aufgaben und Arbeitsweise der Netzwerke, die keiner einheitlichen Struktur unterliegen [4].

Vor diesem Hintergrund bedeutet die Umsetzung des § 39d SGB V in vielfacher Hinsicht zukunftsweisende Chancen:

  • für einen systematischen Ausbau und die Weiterentwicklung der regionalen Netzwerkstruktur: Erfahrung und Beispiele zeigen, dass eine systematische Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure vor Ort in regional koordinierten Hospiz- und Palliativnetzwerken von grundlegender Bedeutung ist für eine qualitativ hochwertige Hospiz- und Palliativversorgung und deren Weiterentwicklung. Gelingende Netzwerkarbeit braucht aber auch verlässliche Strukturen und dazu personelle und finanzielle Ressourcen.

  • Für ein verstärktes Engagement der Kommunen und der Kommunalpolitik: Der Zugang zu einer bedürfnis- und bedarfsgerechten Versorgung am Lebensende ist auch Teil der kommunalen Daseinsvorsorge. Die Kommunen sind dabei in vielfacher Weise in der Verantwortung. Ihre Beteiligung an der Netzwerkarbeit ist essenziell. Das zeigen viele gute Beispiele. Daher gilt es, sie für ihre Mitwirkung und auch ihr finanzielles Engagement zu gewinnen.

  • Für mehr Information und aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger: Es geht nicht nur um Strukturen. Es geht auch darum, die Menschen besser zu informieren, Beratungsmöglichkeiten zu schaffen und Transparenz über Angebote und Strukturen herzustellen. Es geht um die Gesellschaft, um zivilgesellschaftliches Engagement für ein solidarisches und humanes Miteinander. End of Life Care is everyone’s responsibility – die Begleitung am Lebensende ist jedermanns Verantwortung, so einer der Leitgedanken der Caring-Community-Bewegung [5]. Das Kölner Palliativ- und Hospiznetzwerk ist gemeinsam mit der Stadt Köln einer der Initiatoren und Moderatoren der Caring Community Köln [6].

Wie geht es weiter?

Wir alle sind gefordert: Wie und in welcher Form können wir in unserer Stadt oder unserem Landkreis die neuen Möglichkeiten nutzen und bestehende Strukturen weiterentwickeln? Konkurrenz oder Wettbewerb bereits existierender Netzwerke sollte jedenfalls kein Thema sein, sondern die gemeinsame und partnerschaftliche Weiterentwicklung der regionalen Netzwerkstruktur und das zielgerichtete Zusammenwirken aller Akteurinnen und Akteure.

Bis zum 30. September können bereits für 2022 rückwirkend Anträge bei der im jeweiligen Bundesland zuständigen Stelle gestellt werden. Die Fördermittel dürften für alle, ganz unabhängig von der Ausgangslage, hilfreich sein – und ganz sicher auch die Mitwirkung der Kommune, wo dies bislang noch nicht der Fall ist.

Die weitere Umsetzung wird uns, die Charta-Träger und die von den Charta-Trägern getragene Koordinierungsstelle, in der nächsten Zeit ganz sicher weiter beschäftigen. Zunächst aber wird es dazu auf dem bevorstehenden 14. DGP-Kongress bestimmt vielfach Gelegenheit zu Austausch und Diskussion geben.

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Dr. Birgit Weihrauch, Staatsrätin a. D., ehem. Vorsitzende Deutscher Hospiz- und PalliativVerband



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Article published online:
30 August 2022

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